12. Januar 2022 / Aus aller Welt

Bergisch Gladbach: Missbrauchsermittler ziehen Bilanz

In den vergangenen Jahren hat es immer wieder erschütternde Fälle von Kindesmissbrauch gegeben. Bergisch Gladbach, eine Stadt bei Köln, ist dabei ungewollt zu einer Chiffre geworden.

Der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob erläuterte die Ergebnisse der Emittler im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach.

Traumatisierte Familien, erschütterte Beamte: Die Kölner Ermittler im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach haben in den vergangenen Jahren insgesamt 65 Kinder aus der Gewalt von Tätern befreit.

Das geht aus einer Bilanz der Polizei-Ermittlungsgruppe «Berg» hervor, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Das jüngste Kind, das aus einer Missbrauchssituation befreit wurde, sei nur drei Monate alt gewesen. Seine Mitarbeiter hätten «enormes Leid» gesehen, gehört und dokumentiert, sagte Ermittlungsgruppe-Leiter Michael Esser.

Die «Besondere Aufbauorganisation Berg» (BAO Berg) der Kölner Polizei war im Herbst 2019 eingerichtet worden. Im Haus eines Familienvaters in Bergisch Gladbach hatten Ermittler damals riesige Mengen kinderpornografischer Daten gefunden. In der Folge stießen sie auf ein weit verzweigtes Geflecht von Verdächtigen, die sich im Netz über Kindesmissbrauch austauschten. Nach vielen Durchsuchungen, Festnahmen und Verurteilungen wird die Ermittlungsgruppe nun aufgelöst.

Abgründe hinter jedem Fall

Das Fazit: 439 Tatverdächtige konnten identifiziert werden. Bundesweit gab es 27 Festnahmen, davon 13 in Nordrhein-Westfalen. Was Verurteilungen angeht, fehlen zwar deutschlandweite Zahlen, aber die Daten aus NRW deuten an, um welche Schwere der Taten es ging: In mehreren Verfahren, die die sogenannten Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW führte, wurden zusammengerechnet mehr als 80 Jahre Freiheitsstrafe verhängt. Auch der Mann aus Bergisch Gladbach, der seine eigene Tochter missbraucht hatte, wurde 2020 zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe und Unterbringung in Sicherungsverwahrung verurteilt.

Was die Zahlen zugleich kaum illustrieren können: Die Abgründe, die hinter jedem einzelnen Fall stecken. Er habe in seiner Karriere schon viel Leid gesehen, sagte Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob. «Aber das, was wir hier aufgedeckt haben, das sprengt alle Maßstäbe.» Die beachtliche Bilanz der Ermittlungen sei kein Grund zum Feiern. «Dafür ist das Leid, das wir hier aufgedeckt haben, viel zu groß.»

Tatverdächtige aus allen Gesellschaftsschichten

Die Situationen seien teilweise «sehr surreal» gewesen, schilderte der Ermittlungsgruppen-Leiter Esser - etwa wenn die Kinder nach der Trennung von den Missbrauchstätern geweint hätten. Zum Beispiel habe sich ein Mädchen während einer Anhörung verzweifelt an ein Stofftier festgeklammert, das es von seinem Onkel geschenkt bekommen habe. «Die Tragik in dieser Aussage nahm uns alle mit, denn dieser Onkel war unser Tatverdächtiger, der ihr unbeschreibliches Leid angetan hatte», hieß es in einem Bericht des Einsatzleiters.

Man könne nicht davon reden, dass Kindesmissbrauch ein Verbrechen vom Rand der Gesellschaft sei, sagte Esser. «Wir haben Tatverdächtige aus allen Gesellschaftsschichten», sagte er. Darunter seien Leute, die von außen betrachtet ein völlig normales Leben geführt hätten: «Die gingen ganz normal ihrer Arbeit nach.» In den meisten Fällen hätten die Ehefrauen keine Vorahnung gehabt, was mit ihren Kindern passiere.

Die noch verbliebenen, belastbaren Spuren der Ermittlungsgruppe sollen nun auf anderen Ebenen weiter verfolgt werden - in diesen Fällen erwartet die Kölner Polizei aber nicht mehr das Aufdecken akuter Missbrauchstaten.

Identifizierung ist oft sehr schwierig

Die Menge der Daten, auf der die Kölner Ermittler nun sitzen, ist gleichwohl riesig. Durch die Auswertung gefundener Datenträger waren sie nach eigenen Angaben auf Spuren gestoßen, die in der Theorie zu mehr als 30 000 Verdächtigen führen könnten. Da sie sich in Foren, Gruppenchats und in Messengerdiensten aber hinter Pseudonymen verbergen, ist die Identifizierung extrem schwierig. Dass am Ende 30 000 Anklagen erhoben würden, galt wegen der technischen und rechtlichen Gegebenheiten als utopisch.

Insgesamt stellte die BAO Berg rund 4700 Datenträger sicher. «Um es mal ganz platt zu sagen: Die Keller hier im Polizeipräsidium sind voll mit sichergestellten Festplatten, Computern und Handys», sagte Polizeipräsident Jacob. Sie bedürften alle noch der Auswertung.


Bildnachweis: © Federico Gambarini/dpa
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