30. November 2021 / Aus aller Welt

Gefährlicher Hype: Ivermectin kann hochgiftig sein

Vor allem in sozialen Medien geistern Erzählungen zur vermeintlichen Wunderwaffe Ivermectin schon länger herum. Doch mit dem Präparat werden eigentlich Parasiten bekämpft - nicht Viren wie Sars-CoV-2.

Ivermectin-Kapseln und Ivermectin-Tropfen stehen auf der Theke in einer Apotheke in Bolivien. Mit dem Präparat werden eigentlich Parasiten bekämpft - nicht Viren wie Sars-CoV-2.

«Sie sind kein Pferd. Sie sind keine Kuh», twittert im Spätsommer die US-Arzneimittelbehörde FDA. «Im Ernst, Leute, hört auf damit.»

Was ist passiert? Seinerzeit wächst das Interesse an einem Arzneistoff namens Ivermectin zur Covid-19-Behandlung beim Menschen. Der Hype hält in bestimmten Foren und Kanälen bis heute an. Genutzt wird das Mittel regulär zur Bekämpfung von Würmern bei Tieren. Zudem wird es in geringeren Dosen beim Menschen etwa bei bestimmten Krankheiten eingesetzt.

Behauptung: Ivermectin ist ein effektives Mittel gegen Covid-19.

Bewertung: Diese Einschätzung gibt die Studienlage bei weitem nicht her.

Fakten: Ivermectin kann beim Menschen etwa gegen bestimmte Fadenwürmer und Krätzemilben eingesetzt werden. Gegen Covid-19 ist das Medikament weder zugelassen noch sehen Experten eindeutige Effekte gegen Covid-19. Bei falscher Dosierung kann Ivermectin hochgiftig sein.

Was die Experten sagen:

Das Robert Koch-Institut (RKI) sieht bisher keinen Hinweis auf eine Wirksamkeit von Ivermectin gegen Covid-19 in Bezug auf die Notwendigkeit künstlicher Sauerstoffzufuhr oder die Sterblichkeit nach einer Corona-Infektion. Dazu verweist die Behörde auf eine übergreifende Analyse von 14 klinischen Studien vom Juli 2021.

In dieser schreiben Forscherinnen und Wissenschaftler unter anderem des Universitätsklinikums Würzburg, die von ihnen betrachteten Studien seien klein und nur teilweise von hoher Qualität. «Wir sind unsicher in Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheit von Ivermectin bei der Behandlung oder Vorbeugung von Covid-19.» Insgesamt sprächen die verfügbaren zuverlässigen Erkenntnisse nicht für die Verwendung zur Covid-19-Behandlung oder -Vorbeugung außerhalb gut konzipierter Studien.

Genauso empfiehlt die europäische Arzneimittelagentur EMA eine Ivermectin-Anwendung nur im Rahmen klinischer Untersuchungen. Sie schreibt im März über uneinheitliche Studien-Ergebnisse: Einige hätten keinen Nutzen gezeigt, andere einen möglichen. «Die meisten von der EMA geprüften Studien waren klein und wiesen zusätzliche Einschränkungen auf, darunter unterschiedliche Dosierungen und die Verwendung von Begleitmedikamenten», begründet die EU-Behörde ihre Entscheidung gegen einen Einsatz in der Pandemie.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält ihre Einschätzung vom März weiter aufrecht: «Die Auswirkungen von Ivermectin auf Sterblichkeit, künstliche Beatmung, Hospitalisierung, Dauer des Klinikaufenthalts und Virusbeseitigung bleiben ungewiss, da die Beweise für jedes dieser Ergebnisse sehr unsicher sind», heißt es im September. Die 16 untersuchten Studien mit insgesamt rund 2400 Teilnehmern zeigten «ein hohes Risiko für Verzerrungen und eine hohe Ungenauigkeit».

Wofür Ivermectin eigentlich eingesetzt wird:

Bei Tieren wird Ivermectin in Form von Injektionen oder Pasten zur Behandlung bei Parasitenbefall verwendet. Hochkonzentrierte Dosen für große und schwere Lebewesen wie Kühe oder Pferde unterscheiden sich stark von denen, die für Menschen gedacht sind. Für diese sind in ganz bestimmten Dosierungen Ivermectin-Tabletten zur Behandlung einiger parasitärer Würmer oder Hautkrankheiten wie Rosazea zugelassen.

Nach Angaben auf dem Beipackzettel kann die Verwendung des Medikaments zu Lebererkrankungen, Blut im Urin, Übelkeit, Erbrechen, Zittern, Atembeschwerden, Hodenschmerzen, Gleichgewichtsstörungen oder Krampfanfällen kommen. Eine Überdosierung könne zu Koma oder Tod führen, schreiben die Experten der FDA.

Wie es zum Hype um das Präparat kam:

Impfgegner sehen in dem Medikament schon länger ein Wundermittel in der Corona-Pandemie. In Österreich zum Beispiel, wo etwa Politiker der rechtspopulistischen FPÖ Ivermectin immer wieder anpreisen, wurde zeitweise von einem Run auf Apotheken berichtet. Ende August wiesen Experten der US-Gesundheitsbehörde CDC auf immer mehr Anrufe bei Giftnotrufzentralen nach der Einnahme von Ivermectin hin. Der Behörde zufolge gibt es Daten, wonach die Zahl der Verschreibungen in US-Einzelhandelsapotheken von im Schnitt 3900 pro Woche vor Beginn der Pandemie auf knapp 90.000 Mitte August anstieg.

Angefeuert wird der Hype vor allem von unseriösen Seiten im Internet, die zuweilen auf vermeintlich vielversprechende Studienergebnisse im Zusammenhang mit Ivermectin verweisen. Vor allem positive Ergebnisse kleinerer Studien veranlassen Lobbygruppen dazu, den Einsatz als Covid-Medikament zu fordern. Ja: Es stimmt, dass es einzelne Erhebungen gibt, die einen angeblichen Nutzen zeigen. Dabei muss man die einzelnen Untersuchungen aber genauer betrachten.

Zum Beispiel hieß es im Juni etwa von der Universität Oxford, Ivermectin habe in kleinen Laborstudien vielversprechende Ergebnisse erzielt. Eine frühe Verabreichung reduziere die Viruslast und die Dauer der Symptome bei einigen Patienten mit leichter Erkrankung, so die damalige Annahme. Doch seinerzeit wurde bereits eingeschränkt: Da es nur wenige Belege aus kontrollierten Studien gebe, solle Ivermectin in eine großangelegte Erhebung einbezogen werden, um Aussagekraft zu erhalten. Soll heißen: Beweiskraft eher überschaubar.

Bereits im April 2020 wiederum wie eine australische Laborstudie darauf hin, dass Ivermectin in Zellkulturen die Sars-CoV-2-Vermehrung hemmen könnte. Doch Forscher etwa der Donau-Universität im österreichischen Krems ordneten die Ergebnisse ein: «Die dabei verwendete Dosis lag jedoch weit über jener, die für Menschen als unbedenklich gilt.»

Gerade wegen solch diffuser Lagen gibt es sogenannte Meta-Analysen, die Einzeluntersuchungen zusammenfassen. Bisher kommt keine dieser zuverlässigen Übersichtsstudien zu der Erkenntnis, dass bei Ivermectin ein Nutzen gegen Covid-19 erkennbar ist. Und darauf beziehen sich die Festlegungen unter anderem von RKI, WHO und EMA.

Angeblich gute Erfahrungen im Ausland:

Häufig verweisen Ivermectin-Anhänger auch auf Länder wie Indien oder Japan, wo das Mittel angeblich geholfen haben soll, die Pandemie einzudämmen. Dabei hat die Regierung in Neu-Delhi schon längst wieder Abstand von dem Medikament genommen, unter anderem wegen des «hohen Risikos der Einseitigkeit in vielen Studien». Auch die Behauptung, Tokio setze mittlerweile anstatt auf die Impfung auf Ivermectin, ist frei erfunden. Auf der Liste der in Japan gegen Corona zugelassenen Arznei taucht das Mittel gar nicht auf.

In Österreich spricht sich sogar der Hersteller MSD (Merck Sharp & Dohme) gegen eine eigenmächtige Einnahme aus: «Es gibt keine aussagekräftige Evidenz für die Anwendung von Ivermectin bei Sars-CoV-2», teilte das Unternehmen jüngst mit.

Der Virologe Christoph Steininger von der Medizinischen Universität Wien rät «dringend» von einer Covid-19-Behandlung mit Ivermectin ab: «Zusätzlich zur fehlenden Zulassung und Wirkung [ist] die Möglichkeit schwerer Nebenwirkungen zu bedenken.»


Bildnachweis: © Rodrigo Urzagasti/dpa
Copyright 2021, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

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