31. Juli 2024 / Aus aller Welt

Streit um Sicherheit: Als Geldstrafen Gurtmuffel überzeugten

Vor dem Losfahren heißt es Anschnallen. Darüber bestand nicht immer Einigkeit. Vor 40 Jahren half eine Neuregelung dabei, die Menschen vom Gurt zu überzeugen.

Trotz Verbot führte erst die Einführung eines Bußgelds vor 40 Jahren dazu, dass sich ein Großteil der Verkehrsteilnehmer anschnallte.

Was darf der Staat den Menschen in deren eigenen Fahrzeugen vorgeben? Immer wieder ist das eine Frage, wenn es ums Autofahren geht. Seit kurzem müssen Neuwagen in der Europäischen Union (EU) mit einem intelligenten Geschwindigkeitsassistenzsystem ausgerüstet sein. Es vibriert, drückt oder piepst, wenn die zulässige Geschwindigkeit überschritten ist. Ebenso ertönt in vielen Pkw ein Signal, wenn man nicht angeschnallt ist. Heute ist das Gurtanlegen selbstverständlich - vor einigen Jahrzehnten war es jedoch noch Kern hitziger Debatten.

«Wischiwaschi-Gesetz»: Pflicht seit 1976

«Ist es nicht jedem selbst überlassen, für seine eigene Sicherheit zu sorgen?», beschreibt Verkehrshistoriker Frank Steinbeck den damaligen Zeitgeist. Es habe die Angst gegeben, dass man sich beispielsweise nicht aus einem brennenden Fahrzeug befreien könnte, erläutert der Straßenverkehrsexperte am Deutschen Technikmuseum Berlin. 1975 titelt etwa der «Spiegel»: «Gefesselt an's Auto. Anschnallpflicht ab Januar». Ein Jahr später wird das Gesetz in der Bundesrepublik eingeführt.

Doch die Vorgabe gilt zunächst nur auf den vorderen Sitzen - und wird nicht geahndet. Die Pflicht sei deswegen auch als «Wischiwaschi-Gesetz» beschrieben worden, so Steinbeck. Kampagnen wie «Könner tragen Gurt» werden damals gestartet, um die Menschen davon zu überzeugen, sich im Pkw anzuschnallen. Showmaster Frank Elstner bewirbt mit der Fernsehsendung «Mit Gurt und ohne Fahne» das sicherere Fahren.

Mit Bußgeld steigt die Anschnallquote

Dass sich fast alle Verkehrsteilnehmer angurten, bewirkt jedoch erst eine Neuregelung vor 40 Jahren: die Einführung eines Bußgelds von 40 D-Mark am 1. August 1984. «Die Anschnallquote ist nach 1984 direkt im nächsten Jahr von 60 Prozent auf über 90 Prozent gestiegen», erklärt Siegfried Brockmann, Geschäftsführer für Verkehrssicherheit und Unfallforschung bei der Björn Steiger Stiftung, die sich für Verbesserungen des Rettungswesens einsetzt.

Besonders innerorts ist der Effekt schnell zu sehen: Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zeigen, dass im Jahr der Bußgeldeinführung mit einer Anschnallquote von 47 Prozent mehr als jeder zweite Fahrer innerhalb einer Ortschaft nicht angeschnallt war. Im Jahr darauf liegt die Zahl bei 91 Prozent.

Während 1984 noch mehr als 10.000 Menschen bei einem Verkehrsunfall in der Bundesrepublik sterben, sinkt die Zahl der Getöteten im Folgejahr nach Angaben des Statistischen Bundesamts auf 8.400.

In der DDR wird der Sicherheitsgurt 1980 Pflicht. «Die DDR war natürlich teilweise rigoroser», sagt Verkehrshistoriker Steinbeck. «Es gab ja keine Opposition, es gab auch keine Presse, die hätte große Kritik äußern können.» Auch dort sei mit Slogans wie «Anschnallen, Leben retten» geworben worden. Trotzdem habe es auch in Ostdeutschland Gurtmuffel gegeben, gerade im ländlichen Raum.

Wie steht es heute um die Anschnallpflicht?

1970 gibt es Steinbeck zufolge in BRD und DDR zusammengezählt rund 23.000 Verkehrstote. 2023 sind es im vereinten Deutschland dem Statistischen Bundesamt zufolge weniger als 3.000. Die Quote der angeschnallten Fahrer liegt 2023 bei mehr als 98 Prozent, wie Daten der BASt zeigen. Das Bundesverkehrsministerium sieht eine allgemeine Akzeptanz der Anschnallpflicht.

«Trotzdem ist es so, dass jeder vierte getötete Pkw-Insasse nicht angeschnallt war», sagt Verkehrssicherheitsexperte Brockmann. Daran sehe man, wie wertvoll der Gurt sei. Egal, wo man im Auto sitzt: Wenn man nicht angeschnallt ist und dabei erwischt wird, werden heutzutage 30 Euro fällig. Aus Brockmanns Sicht ist das zu wenig: «Das darf getrost 100 Euro kosten.»

Dicke Jacken bei der Fahrt am besten ausziehen

In Deutschland gibt es aber auch Ausnahmen. Etwa beim sogenannten Haus-zu-Haus-Verkehr. Menschen, die in kurzen Abständen aus dem Fahrzeug aussteigen, etwa beim Zustellen von Paketen, müssen den Gurt nicht anlegen. Auch bei Schrittgeschwindigkeit, etwa beim Rückwärtsfahren oder auf Parkplätzen, gilt die Pflicht nicht.

Was viele nicht wissen: Bei der Autofahrt sollten flauschige Jacken und Mäntel ausgezogen werden. Mit dicker Bekleidung gebe es nämlich eine weitere Schicht, die bei einem Zusammenprall überwunden werden müsse, bevor der Gurt seine Wirkung entfalte, erläutert Brockmann.

Neue Technologien, alte Streitmuster?

Seit 2014 ist in allen EU-Neuwagen der sogenannte Seat Belt Reminder vorgeschrieben. Diese automatische Erinnerung kann Brockmann zufolge aber leicht mit Tools ausgetrickst werden. «Das könnte die Industrie tatsächlich auch lösen, wenn sie denn wollte», sagt der Experte. Das Gurtschloss könne etwa intelligenter gestaltet werden, indem es erkenne, ob auf dem Gurt wirklich Zug sei.

Bei der aktuellen Kritik an Warnzeichen bei Geschwindigkeitsüberschreitungen geht es etwa um die Befürchtung eines indirekten Tempolimits auf deutschen Autobahnen. Aus Sicht von Verkehrshistoriker Steinbeck ist die Kritik «Widerstand gegen was Neues, was mir vielleicht Rechte nimmt». Bislang lässt sich das Assistenzsystem jedoch noch selbst ausschalten.


Bildnachweis: © Sven Hoppe/dpa
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