6. Juli 2022 / Aus aller Welt

Der tödliche Gletschersturz und mögliche Ursachen

Ein verheerender Gletscherabbruch in Norditalien kostet mindestens sieben Menschen das Leben. Während nach einer Erklärung für das Ereignis gesucht wird, haben Experten einen Verdacht. Ist das Wandern in den Bergen noch sicher?

Der Punta-Rocca-Gletscher in den italienischen Alpen. Nach dem massiven Gletscherbruch und einer Lawine geht die Suche nach Opfern weiter.

Zwischen Geröll, Eis und Schnee suchen Rettungskräfte in Norditalien noch immer nach Vermissten. Drohnen kreisen am Mittwoch über den Unglücksort.

Mindestens sieben Menschen sind am Sonntag bei einem Gletschersturz in der Nähe von Canazei ums Leben gekommen. Die Bergsteiger wanderten auf die Marmolata. Mit mehr als 3340 Metern ist sie der höchste Berg in den Dolomiten - ein beliebter Ausflugsort für Wintersportler und Wanderer. Bei dem Naturereignis auf der dem Trentino zugewandten Seite wurden acht Menschen verletzt - darunter zwei Deutsche. Ein Unglück aus heiterem Himmel, das auch Fragen zur Zukunft des Alpin-Sports aufwirft.

Was ist an der Marmolata passiert?

Am vergangenen Sonntag löste sich nach offiziellen Angaben gegen 13.30 Uhr ein Turm aus Gletschereis (Sérac) vom Bergmassiv der Marmolata und stürzte auf den darunter liegenden Weg zum Gipfel. Die Massen aus Eis, Schnee und Geröll donnerten mit bis zu 300 Kilometern pro Stunde talwärts. Die Lawine begrub mehrere Bergsteiger unter sich. In einer Höhe von rund 2800 Metern erstreckt sich nun über zwei Kilometer das abgebrochene Gletscher-Material. Ein etwa 60 Meter hoher und 80 Meter tiefer Teil des Eises ist oben aber weiter mit dem Bergmassiv verbunden, wo jetzt eine sichtbare Lücke klafft.

Welche Umweltfaktoren können zu dem Unglück beigetragen haben?

Hohe Temperaturen und damit der Eintrag von Schmelzwasser könnte der Auslöser gewesen sein, wie der Schweizer Glaziologe Matthias Huss sagte. So sieht das auch der italienische Klima-Forscher Roberto Barbiero. Das Wasser könnte dann einen Hohlraum zwischen Fels und Eis gespült und so dem Gletscherteil den Halt genommen haben. Seit mehr als einem Monat herrschten ungewöhnlich hohe Temperaturen in der Gegend, sagte der Klima-Fachmann. Am Unglückstag lag der Wert etwa zehn Grad über Null. Huss und Barbiero nennen außerdem die geringen Niederschläge im vergangenen Frühjahr und Winter als weitere Faktoren. Der Gletscher konnte Barbiero zufolge deshalb nicht von der sonst vorhandenen Schneedecke profitieren, was am Ende etwa einen Monat früher als sonst zur Schneeschmelze führte.

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf Bergtouren?

Solche Gefahren habe es im Hochgebirge schon immer gegeben, sagte Huss. «Allerdings führt der aktuelle Klimawandel zu neuen und bislang schwer vorhersehbaren Situationen, die ständig neu beurteilt werden müssen.» Das Österreichische Kuratorium Alpine Sicherheit weist darauf hin, dass der Dolomiten-Gletscher bestimmte Besonderheiten aufweist. «Der Fels darunter ist sehr steil, das ist längst nicht überall so», sagte Matthias Knaus vom Kuratorium in Innsbruck. Man dürfe nicht ohne weiteres von diesem auf andere Gletscher schließen. Viele Gletscher würden sich auf eher flachem Fels ins Tal schieben, was die Gefahr solch dramatischer Ereignisse stark vermindere.

Ist Wandern unter solchen Gefahren noch sicher?

Die Bergführer in Italien seien sich der Veränderungen bewusst, erklärt die Vereinigung der Bergführer in Italien. Zu ihrer Aufgabe gehöre deshalb, alternative Routen mit weniger Risiko zu suchen. Der Österreicher Knaus empfiehlt: Generell solle jeder Bergwanderer Risiko-Management betreiben. «Befinde ich mich in einer potenziellen Sturzzone eines Gletschers, sollte ich sie so schnell wie möglich wieder verlassen.» Die italienischen Bergführer raten zudem, bereits zu Hause die Wanderung aufmerksam vorzubereiten. Barbiero verweist auf Informationen, die etwa der Zivilschutz bereitstellt und den Rat von Hüttenwirten.

Lassen sich Gefahren durch instabile Gletscher voraussehen?

Im Fall der Marmolata gehen die italienische Bergführer-Vereinigung und Klima-Experte Barbiero davon aus, dass das Unglück nicht vorhersehbar war. Laut dem Glaziologen Matthias Huss ist es Bergführern auch mit viel Erfahrung kaum möglich, abzuschätzen, ob ein Abbruch unmittelbar bevorsteht. «Falls eine kritische Situation erkannt ist, könnte nur eine ständige Beobachtung der Veränderung Aufschlüsse über den Zeitpunkt des Ereignisses geben.» Matthias Knaus rechnet damit, dass Frühwarnsysteme in den nächsten Jahren ausgebaut werden. Huss hält diese aber für eine große Herausforderung.


Bildnachweis: © Luca Bruno/AP/dpa
Copyright 2022, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

Meistgelesene Artikel

Magdeburg: Anschlag mit Auto auf Weihnachtsmarkt
Aus aller Welt

Ein Autofahrer steuert in der Landeshauptstadt auf Menschen auf dem Weihnachtsmarkt zu. Der Mann wird festgenommen. War es ein Anschlag?

weiterlesen...
Vermisste Frau in England nach mehr als 50 Jahren gefunden
Aus aller Welt

Ein Aufruf in sozialen Medien brachte Hinweise, die zu der Frau führten. Es geht ihr gut. Warum sie 1972 verschwand, bleibt allerdings ein Rätsel.

weiterlesen...
Weihnachtsspiele mit Streichhölzern
Für die ganze Familie

Spiele für die ganze Familie

weiterlesen...

Neueste Artikel

Rückschlag für Elon Musk bei siebtem Testflug von «Starship»
Aus aller Welt

Mit dem größten je gebauten Raketensystem der Raumfahrtgeschichte will Elon Musk den Mars erschließen. Der siebte Test lief jedoch nicht wie gewünscht.

weiterlesen...
BGH prüft: Muss Familie aus Rangsdorf ihr Haus abreißen?
Aus aller Welt

Eine Familie zieht ins neu gebaute Eigenheim. Dann der Schock: das Amt hat einen Fehler gemacht, der eigentliche Besitzer will sein Grundstück zurück - ohne Haus. Das schaut sich der BGH an.

weiterlesen...

Weitere Artikel derselben Kategorie

Rückschlag für Elon Musk bei siebtem Testflug von «Starship»
Aus aller Welt

Mit dem größten je gebauten Raketensystem der Raumfahrtgeschichte will Elon Musk den Mars erschließen. Der siebte Test lief jedoch nicht wie gewünscht.

weiterlesen...
BGH prüft: Muss Familie aus Rangsdorf ihr Haus abreißen?
Aus aller Welt

Eine Familie zieht ins neu gebaute Eigenheim. Dann der Schock: das Amt hat einen Fehler gemacht, der eigentliche Besitzer will sein Grundstück zurück - ohne Haus. Das schaut sich der BGH an.

weiterlesen...