21. Juni 2021 / Aus aller Welt

E-Autos: Wissenschaftler sehen Klima-Rechenfehler

Wenn 2030 Millionen Autos elektrisch fahren, hält dann der Ausbau beim Ökostrom noch mit? Wissenschaftler schreiben einen Brandbrief an die EU - und auch die Autobauer legen den Finger in die Wunde.

Ein Stromstecker-Symbol auf der Tankklappe eines Elektrofahrzeuges.

Hat sich die Politik beim Beitrag des Elektroautos fürs Klima grundlegend verrechnet? Leider ja, sagen 170 Wissenschaftler aus aller Welt.

«Die Zahlen suggerieren ein Einsparpotenzial, das wir nicht haben», sagt Professor Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) der Deutschen Presse-Agentur. Denn der Strommix sei schlicht falsch berechnet worden. «Die Frage ist nicht: Elektroauto oder Verbrenner. Die Frage ist: fossil oder nicht», sagte Koch. In einem offenen Brief an die EU-Kommission, über den «Stuttgarter Zeitung» und «Stuttgarter Nachrichten» (Montag) berichteten, äußerten die Wissenschaftler ihre Bedenken. Denn die EU ist gerade dabei, ihre CO2-Vorgaben für die neu zugelassenen Autos in Europa noch einmal zu verschärfen.

Mit 453.000 verkauften Elektro- und Plug-in-Fahrzeugen im ersten Quartal ist Europa China mit 489.000 E-Autos dicht auf den Fersen. Und nach Ländern ist Deutschland heute sogar schon zweitgrößter E-Auto-Markt der Welt, mit fast 250.000 neu zugelassenen Elektroautos bis Ende Mai. VW gehört inzwischen zu den Treibern der Entwicklung. Bis 2030 will Volkswagen nur noch ein Drittel seiner Autos mit Benzin- oder Dieselmotor verkaufen. Mercedes-Benz und BMW peilen einen Anteil von etwa 50 Prozent an.

Wichtig ist, woher der Strom kommt

Aber einen festen Termin für das Ende des Verbrenners wollen die Konzerne nicht festlegen. Zu unterschiedlich sind die Märkte und die Wünsche der Kunden, zu unterschiedlich auch die politischen Vorgaben. Dazu kommt noch die Ladeinfrastruktur, die in vielen Ländern fehlt, auch in Europa. Und weil es letztlich ja um Klimaschutz geht, ist noch viel wichtiger, woher der Strom für die E-Autos eigentlich kommt.

Mit Strom aus Kohle oder Öl sehe er keinen großen Sinn in der Umstellung auf E-Antriebe, sagte VW-Chef Herbert Diess bei der Bilanz-Pk. «Ein moderner Diesel ist klimafreundlicher als ein Elektrofahrzeug, das mit Kohlestrom geladen wird», sagte BMW-Chef Oliver Zipse der «Passauer Neuen Presse/Donaukurier» (Montag). Er habe «große Sorge», ob es genug Ökostrom geben werde.

Die EU-Kommission geht bei ihren Vorgaben davon aus, dass der Strom mit dem Ausbau von Wind- und Solaranlagen sauberer werden wird. Nein, sagen Koch und seine Kollegen. Denn der Strombedarf wird noch mehr steigen - und dann stimmt die ganze Rechnung nicht mehr.

Der Strombedarf wächst

Die Bundesregierung will bis 2030 nicht nur 10 Millionen Elektroautos auf der Straße haben, sondern auch Industrie und Heizung rasch umstellen. Der Strombedarf in Deutschland werde bis 2030 von 56 auf 57 Gigawatt zulegen, sagt Koch. In 6000 von den 8760 Stunden im Jahr werde es neben Ökostrom auch mehr Strom aus fossilen Kraftwerken brauchen. Das habe die Politik in ihren Debatten und Rechnungen aber übersehen, auf jeden Fall nicht mitgerechnet. Dann könnten die realen CO-2-Emmission viel höher sein als von der Politik veranschlagt - in der Summe sogar doppelt so hoch.

Die Wissenschaftler seien sich alle einig, dass das Klima geschützt und der CO-2-Ausstoß gesenkt werden müsse, betonte Koch. «Dafür brauchen wir auch das E-Auto.» Aber die Vorgaben favorisierten das E-Auto auch da, wo es dem Klima gar nichts nütze.

Wenn Ökostrom nicht mit Gas-, Öl- und Kohlestrom, sondern mit Atomstrom ergänzt würde, sähe die Rechnung besser aus. Aber das sei eine politische Entscheidung der Deutschen, sagte Koch. Wenn die heutigen Verbrenner statt Benzin und Diesel CO2-neutral hergestellten synthetischen Kraftstoff tanken würden, ließen sich dagegen 25 Prozent CO2 einsparen. Aber auch da gingen Politik und Industrie heute einen anderen Weg. Im Interesse des Klimas sollte die EU-Kommission ihre Haltung vor dem nächsten Schritt noch einmal bedenken, so der Appell der Wissenschaftler.


Bildnachweis: © Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa
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